Immer der Nase nach

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Die Toskana mit Slow Food erobern

Als die beiden sich kennenlernten, gab es noch gar kein “Slow Food”. Um auszuprobieren, ob sie zusammen leben können, fuhren sie nach Florenz. Da sie beide Kunstgeschichte studiert hatten, kannten sie viele Kunstschätze bereits und wollten jetzt die Toskana mit Nase und Gaumen erobern. Nichts ist schöner, als auf den lokalen Märkten das nächste gemeinsame Essen zu planen und mit Verkäufern über die Zubereitung zu reden. Ein Freund stellte den beiden seine Wohnung nahe dem Stadion des AC Florenz zur Verfügung und versah sie mit Einkaufstipps, so dass die beiden direkt in den italienischen Alltag eintauchen konnten.

Das Zusammenwohnen klappte – auch dank zahlreicher kulinarischer Entdeckungen wie der Bistecca Fiorentina bei “Da Sergio” am Mercato Centrale oder des “Gallo Nero” auf den leckeren Chianti-Flaschen, welche sie in Osterien verkosteten, die heute besternte Restaurants sind (“Enoteca Pinchiorri”). Sie beschlossen, Italien gemeinsam nach und nach zu erobern und packten ihren Käfer – später einen R4 – jedesmal mit Wein, Nudeln, Wurst, Käse, Dosentomaten und Pfirsichen voll. Letztere lernten sie bei ihrem Aufenthalt in Castagneto Carducci kennen, wo im nahegelegenen Donoratico die kleine Manufaktur “La Dispensa” Tomaten und Pfirsiche einmacht. Zum Glück wurde im Lauf der Zeit “La Dispensa” von “La Selva” gerettet, einer Firma, von der es heute diese süchtig machenden Pfirsiche gibt.

Die beiden wohnten auf dem Weingut “Grattamacco” und erhielten eines Tages von den Winzern Piermario und Paola Meletti-Cavalari den Tipp: “Fahrt mit nach Montescudaio, da gibt es ein Essen von Arcigola.” In einer alten Mühle ohne Schild kochte ein ehemaliger Matrose aus marktfrischen Erzeugnissen ein einziges Menü für alle. Man saß gemeinsam an einer langen Tafel, probierte die eigenen Weine und fachsimpelte über die Zubereitung der Ausgangsprodukte, der “materia prima”! Als Fremde hatten sich die beiden an den Tisch gesetzt, als Mitglieder des “Condotta” von “Arcigola Slow Food” in Cecina standen sie wieder auf. Heute sind sie seit 24 Jahren dabei, inzwischen in Deutschland: Friederike war acht Jahre Vorsitzende sowie im Internationalen Vorstand, Lothar leitet das Ulmer “Slow Food Convivium”.

“Gut, sauber, fair” ist das Motto, unter dem bei Slow Food für das Recht auf Genuss mit Zunge, Gaumen und Nase “gekämpft” wird. Der kürzeste Weg vom Bauern auf den Teller verheißt die beste Qualität. Das gilt nicht nur für Italien, sondern auch im Schwabenland, wo die beiden seit 1992 leben. Er arbeitet als Rechtsanwalt und sie als Kuratorin für zeitgenössische Kunst. Beim Erforschen der heimischen Genüsse haben sie in der Region Fuß gefasst. Kuttelsuppe nach Art von Vincent Klink (mit Lemberger und ohne Mehl) vergleichen sie mit “trippa con porro”, die Renzo aus Cervere einmal in Ulm zubereitete. Ulmer Austern (Schnecken aus dem Lautertal) kombiniert Franz Klocker im Indelhauser “Hirsch” mit Alblinsen und Spätzle in Konkurrenz mit Marco Forneris vom “La Libera” in Alba, der Schnecken aus Cuneo nach Ulm mitbrachte. “Wir schauen über den Tellerrand”, so nennt sich diese Reihe des Convivium Ulm und eröffnet neue Duft- und Geschmacksnoten für heimische Erzeugnisse. Kutteln mit Riesling und Sahne auf elsässische Art wurde zum Renner im Ulmer “Pflugmerzler”, als noch Humbert Lanza den Slow Food-Stammtisch ausrichtete.

Immer wieder fahren die beiden in die Toskana und holen sich Anregungen aus dem Osterie-Führer von Slow Food, den es als “Gasthausführer” auch auf deutsch gibt. Von der ehemaligen Richterin Dania im “La Chuisa” in Montefollonico lernten sie, dass ein Pesto aus frischem Basilikum mit Salz und Öl dem Tomatensugo einen intensiveren Geschmack gibt. Mit der Töpferin Sabine Csampai kochten sie für eine Nachbartafel auf dem Dorfplatz von Montemerano, wo die frühere Münchner Kulturbürgermeisterin lebt. Edilberto Formigli erklärte ihnen in seinem Museum in Murlo, wie Römer ihre Bronzen brannten (und sie aßen das paradiesische Obst aus seinem Garten). Bei einem kulinarischen Freiluftkonzert auf dem Landgut “La Foce” wurden sie mit den von Iris Origo im Tagebuch festgehaltenen Gräueln der deutschen Besatzung 1943 im Val d’Orcia konfrontiert.

Auf Elba feierten sie Neujahr mit dem dortigen Convivium und bekamen einheimische Spezialitäten, die man auf keiner Speisekarte mehr findet. Dort trafen die beiden wieder auf Piermario und Paola Meletti-Cavalari, die in einem Naturschutzgebiet an der Costa dei Gabbiani die alte Rebsorte “Aleatico” anbauen. Drumherum gibt es übrigens mehrere wunderschöne Hotelanlagen und Ferienwohnungen, die man über Siglinde Fischer anmieten kann.

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